„…dass ein Mensch in seinem persönlich-individuellen Sein in die Erscheinung tritt.“

von | 07. Dezember 2025 | Denklichter

Wo dürfen wir uns am ehesten versprechen, die Wirklichkeit eines Menschen zu erkennen? Offenbar in der aesthetischen Sicht! Man halte sich zunächst die Gegenmöglichkeit vor Augen: das Antlitz eines Menschen aufgefaßt mit der Präzision wissenschaftlicherMethode; als Gegenstand von „exakten Feststellungen“, die auf Grund von genauen Beobachtungen gemacht werden. Ein festgestelltes, fest umschriebenes Teilmoment dieses Antlitzes wird sich an das andere fügen; eines wird in seiner Tatsächlichkeit so sicher und einwandfrei festgehalten wie das andere (vielleicht mit technischen Hilfsmitteln; mit Anwendung von Ausmessungen usf.). Was wird das Ergebnis sein? Ein eigenartiges, künstliches Präparat; das wir niemals mit der Wirklichkeit eines Menschen in eins setzen werden. Diese Wirklichkeit begegnet uns vielmehr in der aesthetischen, bezw. künstlerischen Sicht dieses Menschen. Denn in ihr allein ist jene Zusammenschau denkbar, die ein unverkürztes Gewahrwerden gewährleistet; und die allein es möglich macht, dass ein Mensch in seinem persönlich-individuellen Sein in die Erscheinung tritt.

Heinrich Barth: Wirklichkeit und Möglichkeit. Hrsg. v. S. Asam und P. Schürmann. Regensburg 2025, 45f.