Was fruchtbar ist, allein ist wahr.
Johann Wolfgang von Goethe
Wenn wir von der Wirkung eines (Kunst-)Werkes sprechen, meinen wir meist eine große Spannweite des Einflusses, den ein solches einzunehmen vermochte oder noch vermag. „Shakespeares Werk hatte eine enorme Wirkung“, sagen wir. Etwas verengt und begünstigt durch das mediale Zeitalter, meint dies heute z.B. möglichst viele erreichte Menschen oder einen besonders großen Bekanntheitsgrad. Wirksamkeit beschreibt aber auch einfach eine Aktivität oder eine Tätigkeit, ein Handeln, das auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet ist. Diese Betonung des messbaren Erfolges bestimmt als (Vor)Urteil mehr und mehr unsere gesamte Wahrnehmungsfläche, wenn es um die Beurteilung einer Sache oder einer Initiative geht. Ergebnis oder Produkt stehen dabei im Zentrum der sogenannten Wirkung.
Interessant kann es sein, diesem Begriff den der Fruchtbarkeit gegenüberzustellen: Er bedeutet auch eine reiche Fülle, die aber, im ersten Stadium des Wachstums, viel stärker auf eine unsichtbare, keimhafte Qualität angewiesen scheint. Wenn etwas fruchtbar ist oder werden kann, so ist es nicht an seinem schnellen Erfolg zu messen. Es bleibt oft viele Jahre unsichtbar, wie ein Samen in der Erde, bevor etwas Sichtbares entstehen kann: Ein Keim, der Pflege und die richtige Umgebung und Atmosphäre braucht, um überhaupt seine in ihm liegende Fruchtbarkeit entfalten und der Welt schenken zu können.
Woran aber lesen wir nun die Fruchtbarkeit einer Sache ab? Suchen wir, wie beim Froschlaich nach Millionen von Eiern, die dann zu einer bestimmten Anzahl von Fröschen werden, oder liegt die Fruchtbarkeit nicht viel mehr in einer bestimmten Qualität von Wirklichkeit, die nur dem genauer Beobachtenden erscheint? Zwar ist eine Bedeutung von Fruchtbarkeit auch, mannigfache Nachkommen zu erzeugen. Aber die kulturelle Seite des Bergriffs hebt doch, im Gegensatz zur sich deutlich vor unseren Augen ausbreitenden Wirksamkeit, die qualitative, nicht quantitative Bedeutung einer Sache hervor.
Wir können fragen, von wie vielen Menschen damals zum Beispiel Friedrich Hölderlins Werk rezipiert worden ist. Angesichts heutiger Maßstäbe war er ein Versager mit den paar hundert verkauften Exemplaren. Seit dem letzten Jahrhundert gilt er mit Recht als einer der größten Dichter der deutschen Sprache. Doch auch heute wird er nicht von sehr vielen Menschen gelesen. Wenn wir uns aber versuchen, Hölderlin aus der deutschen Literatur wegzudenken, entsteht ein qualitativer Mangel, ein Verlust, der durch nichts anderes zu ersetzen ist.
Wie können wir lernen, Fruchtbarkeit, nicht nur Wirksamkeit wahrzunehmen oder vielleicht zuerst überhaupt denken zu lernen? Worauf schauen wir, wenn wir Keimhaftes entdecken, qualitative Tiefe fördern, zukunftsfähige Bedeutsamkeit auffinden wollen statt momentanen Erfolg, äußeren Aktivismus und die schiere Menge? Eine Fülle, die nicht Masse ist, sondern weltverändernde Ideenform hat, deren Entfaltung eine zeitliche Dimension in sich trägt, die nicht von außen, sondern ganz von dieser selbst bestimmt wird. Ein fruchtbarer Keim bestimmt seine eigene Wirksamkeit, braucht aber die rechten Bedingungen, damit er wachsen und schließlich auch wahrgenommen werden kann.