Die Beiträge des neuen Heftes entfalten in historischer Perspektive die systematischen Implikationen eines „Interesse[s] am rein Menschlichen“ (Schiller). Salvatore Lavecchia wendet sich eingangs Platons Nomoi X zu. Dabei geht es ihm darum, die Konsequenzen der Einheit von Erkenntnis und Ethik bei Plato auszuloten. Wirkliches Erkennen und Denken sei zugleich eine Angelegenheit der Ethik. – Dass diese Gedankenwelt nicht nur in die Antike eingebettet ist, sondern bis ins Mittelalter führt, zeigt Johann Kreuzer in seinem Überblick über die Frage des Schönen. Die Feststellung Adornos, dass „kein Licht ist auf den Menschen und Dingen, in dem nicht Transzendenz widerschiene“, ist dabei für seine Überlegungen zentral.
Auf dieser Grundlage widmen sich drei weitere Beiträge dem Denken des Nikolaus von Kues. Wolfgang Christian Schneider hebt Cusanus’ Verwobenheit mit dem platonisch-neuplatonischen Gedankengut hervor und zeigt, wie Nikolaus diese Ideen produktiv in die Neuzeit hinein entfaltet, als einen „adventus formae“, als „die Vergegenwärtigung von Schönheit wie Gutheit Gottes in ihrer Ankunft im Konkreten“. – Tilman Borsche führt in seiner Meditation über De visione Dei diese Linie mit speziellerem Blick auf den Menschen fort. Dabei geht es um das eigentümliche Zusammenspiel von Gottes-Bild, Zeit und Ort, Autor und Leser. Und als Gegenstück zum Verhältnis des Menschen zu Gott widmet sich Kirstin Zeyer demjenigen des Menschen zum Tier bei Cusanus, ebenfalls im Rückbezug auf De visione Dei. Es gehe um einen verantwortlichern Umgang mit der Natur, im Sinne einer spielend-kreisenden Vertrauensbildung, verteilt auf viele Schultern.
Die letzten beiden Beiträge des Heftes führen in die Welt um und nach 1800. Harald Schwaetzer beleuchtet Schillers Unterfangen der Gründung der „Horen“ und analysiert dessen Gespräch mit Fichte und Goethe. Dabei geht es um die Deutung einer Aussage aus dem Vorwort der „Horen“: Es gehe Schiller darum, das beschränkte Interesse der (politischen) Gegenwart in Richtung auf ein allgemeines und höheres Interesse an dem, was rein menschlich ist, zu entwickeln, das Freiheit ermöglicht „und die politisch getheilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit “ wieder vereinigt.
Bei Samuel Hahnemann findet man – auch im Rückgriff auf die Antike – eine konsequente Weiterführung dieser Ideen. Seine Art des Interesses am rein Menschlichen untersucht Pilar Bücker. Sie zeigt, dass Hahnemann den Menschen als einen lebendigen Organismus versteht und dass dieses Verständnis aus der Empirie heraus geboren ist. Dem Begründer der modernen Homöopathie gehe es weder um abstrakte Spekulationen noch um eine Empirie, wie sie das 19. Jahrhundert im weiteren Verlauf ausbilden wird. Auch für ihn gilt, dass in der platonischen Einheit von Erkenntnis und Ethik ein „adventus formae“ sich ereignet, der das Interesse am rein Menschlichen im Sinne Schillers zur Erscheinung zu bringen vermag.
Wie immer, schließt der Band mit einer Reihe von Rezensionen neu erschienener Bücher. Im Vorwort würdigt das neue Herausgeber-Trio – Johanna Hueck, Harald Schwaetzer und Kirstin Zeyer – Wolfgang Christian Schneider, der diese Zeitschrift seit ihrer Gründung über 14 Jahrgänge „mit Phantasie, mit Feinsinnigkeit, mit gedanklicher Genauigkeit und mit Schönheit“ – eben mit „Interesse am rein Menschlichen“ – gestaltet hat, zusammen mit Kirstin Zeyer, die nun die Kontinuität wahrt.
Das im Aschendorff-Verlag erschienene Heft kann hier für 24,80 EUR bezogen werden.