Das 20. Jahrhundert ist nicht nur gekennzeichnet durch Einschläge des Bösen in so nie dagewesener Form, sondern – daran anschließend – auch durch das Nachdenken über das Böse. Zwei bedeutsame Exponenten dieses Nachdenkens sind Hannah Arendt und Heinrich Barth. Ihnen war das Kolloquium der Heinrich Barth-Gesellschaft am 12./13. November 2021 in Basel gewidmet. Nun liegen die Beiträge, die Nils Baratella und Christian Graf dort gegeben haben, verschriftlicht vor. Sie werden in dem aktuelle Bulletin der Heinrich Barth-Gesellschaft ergänzt durch einen Beitrag von Joop Berding über „Hannah Arendt und das Böse“ sowie das Manuskript eines Vortrages von Heinrich Barth aus dem Jahr 1937 über „Der Mythus des 20 Jahrhunderts“, eine Auseinandersetzung mit dem Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg. In dieses Manuskript führt Anton Wolf ein. Ein Tagungsrückblick von Helene Schaefermeyer rundet das Heft ab.
Während Arendt ihr Denken über „das Böse“ an der Gestalt von Adolf Eichmann entwickelt, dem Organisator der Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten, und zu der bekannten wie umstrittenen Aussage von der „Banalität des Bösen“ gelangt, schaut Barth als Existenzphilosoph auf die inneren Vollzüge jedes Menschen, aus denen Böses ebenso entsteht, wie die Fähigkeit, diesem zu begegnen, und schreibt ihm Größe und „Idealität“ zu.
„An diesem Punkt scheint nun der größtmögliche Gegensatz zwischen Heinrich Barth und Hannah Arendt zu bestehen: Das Böse habe nichts Metaphysisches, Dämonisches, keine Tiefe, meint diese. Dagegen spricht Barth von Verblendung, von Größe und Idealität des Bösen. Die von Arendt hervorgehobene ‚Banalität des Bösen‘ scheint Barth sehr fernzuliegen“ (Christian Graf). Insofern geht es um Annäherungen an das Phänomen des Bösen von zwei ganz verschiedenen Seiten her bzw. möglicherweise auch um verschiedene Formen des Bösen. Doch scheint eine Verständigung durchaus möglich zu sein, wie die verschiedenen Beiträge des Bulletins zeigen.
Das Böse denken. Hannah Arendt & Heinrich Barth im Gespräch. Bulletin der Heinrich Barth-Gesellschaft Nr. 22, August 2022. Es kann auf der Internet-Seite der Heinrich Barth-Gesellschft kostenlos heruntergeladen werden.