„Die Idee der Menschheit voran, will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also auch über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; u. das soll er nicht; also soll er aufhören.“
Der Ausschnitt aus dem 1796/97 entstandenen Text mag besonders in heutigen Zeiten verblüffen: Er ist gemeinsam verfasst von den geschätzten Klassikern des Deutschen Idealismus: Hölderlin, Schelling und Hegel.
Die radikale Staatskritik geht aus von einer Idee der Menschheit, die mit der Idee der Freiheit untrennbar verbunden ist. Was wie die Mechanik einer Uhr aus einzelnen Teilen besteht, die einer reinen Zweckvorstellung gehorchen, kann aus Sicht der Autoren nicht mit dem Begriff der Idee gewürdigt werden. In die gleiche Kategorie fällt hier der Staat. Die Idee der Menschheit realisiert sich in der Freiheit der Einzelnen. Nur aus ihr geht alles Gemeinschaftliche hervor. Die drei Philosophen spitzen damit zu, was ihr Freund und Kollege Wilhelm von Humboldt in seinen „Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“ kurz zuvor (1792) formuliert hatte: Nur solange ein Staat seine Funktion auf die Förderung der Freiheit begrenzt, hat er eine Legitimation. Denn sonst behandelt er Menschen wie „Räderwerk“, d.h. wie austauschbare Teile eines Ganzen, wie der Text in Aufnahme eines Bildes aus Schillers „Ästhetischen Briefen“ sagt. Ein solcher Staat veräußerlicht und funktionalisiert den Menschen um einer Zweckrationalität willen, die außerhalb seiner individuellen Motive liegt: Heute würden wir vielleicht verweisen auf die Vorherrschaft des Wirtschaftlichen, auf Gesetze, die unbeweglich sind oder die Macht einzelner Interessengruppen einseitig berücksichtigen, auf Bildung, die bestimmte Inhalte vorgibt statt freie Menschen als höchstes Ziel zu haben usw.
Der Blick auf eine überraschende, aber breit verankerte These unserer sogenannten „Klassiker“ ist sicherlich zu kurz, reicht aber hin, einmal wieder darauf hinzuweisen, was vor über 200 Jahren Philosophen aus nicht unbegründeten Einsichten heraus zu denken wagten. Damals gab es noch Fürsten, die die Kleinstaaten auf ungeeintem Territorium regierten. Würden wir uns heute trauen, in einer freiheitlichen Demokratie diese Ansichten zu vertreten?
P.S. Der gesamte Text des „Ältesten Systemprogramms“ findet sich unter dem oben genannten Titel im Internet.