Kürzlich erschien in den „Texten und Studien zur Europäischen Geistesgeschichte“ der Band „Why we need Cusanus / Warum wir Cusanus brauchen“ (Reihe B, Band 24), herausgegeben von Enrico Peroli und Marco Moschini. – 1964, zum 500. Todestag des Nikolaus Cusanus veröffentlichte der Theologe Hans Urs von Balthasar einen langen Artikel in der Kulturbeilage des Basler Volksblattes mit dem Titel „Warum wir Cusanus brauchen“. Nun, fast sechzig Jahre später, diskutieren in diesem Band Philosophen, Theologen und Gelehrte aus verschiedenen europäischen Ländern erneut über die Aktualität des Denkens von Cusanus und seiner Relevanz für die zeitgenössische Kultur. Die Autoren gehen auf die von Balthasar 1964 aufgeworfene Frage von verschiedenen Perspektiven und Ansätzen her ein. So entsteht ein Bild von dem vielfältigen Erbe der Philosophie des Cusanus. Zugleich eröffnet sich ein Blick auf neuen Richtungen der Forschung zu Nikolaus von Kues in den letzten Jahrzehnten:
Einleitend wird von den beiden Herausgebern nach der (Post-) Modernität von Cusanus gefragt. Dann blickt Isabella Mandrella unter dem Titel „Cusanus und die Leidenschaft für das Denken“ auf den Balthasar-Artikel zurück. John Milbank untersucht den doppelten Zusammenfall der Gegensätze bei Cusanus und Johannes Hoff geht der Frage nach, warum wir nach dem Repräsentationalismus der modernen Philosophie und Theologie Nikolaus von Kues brauchen. Harald Schwaetzer widmet sich der „Geburt der Naturphilosophie aus dem Geiste der Mystik“ im Hinblick auf die „Aktualität transzendentaler Konjekturalität für eine Philosophie im Anthropozän“. Thomas Leinkauf verfolgt den Grundgedanken der „Ungenauen Genauigkeit“ des Cusanus, während Markus Riedenauer angesichts der Herausforderungen durch religiösen Pluralismus und Fundamentalismus mit Cusanus die „religio“ zu verstehen sucht. Tilman Borsche sieht in den drei Begriffen „Konjektur, Konkordanz, Kreativität“ Leitideen des Cusanus mit Zukunftspotential, derweil Martin Thurner mit Cusanus dem „Geist der Schwere“ zu begegnen sucht. Gianluca Cuozzo untersucht das Denken des Nikolaus von Kues im Spiegel des handwerklichen Wissens, Jean–Michel Counet die irreduzible Andersartigkeit der Welt unter dessen Blick. Schließlich betrachtet Wolfgang Christian Schneider , wohin des Cusanus’ „Dualität ohne Dualismus“ führen kann, geht Davide Monaco dem Thema „Nicolaus Cusanus und die Hermeneutik“ nach und untersucht Michael Eckert Transzendenz und Immanenz im Horizont eines „Platonischen Skeptizismus“: „Zur ästhetischen Vermittlungsleistung cusanischen Denkens“.
Der Band geht auf eine deutsch-italienische Tagung zurück, die 2019 von den italienischen Herausgebern gemeinsam mit der italienischen Cusanus-Gesellschaft und ihrem Präsidenten Gianluca Cuozzo sowie dem Philosophischen Seminar durchgeführt worden ist.
Enrico Paroli, Marco Maschini (Hg.): Why we Need Cusanus / Warum wir Cusanus brauchen. Texte und Studien zur Europäischen Geistesgeschichte Reihe B, Band 24, Münster 2022, 283 Seiten, 44 EUR (Ebook 30,50 EUR).