Frieden lasse ich euch.
Joh. 14,21, übersetzt von Harald Schwaetzer.
Frieden, den meinen, schenke ich euch.
Nicht wie der Kosmos schenkt – ICH schenke euch.
Es sei nicht wankend-ungefügt euer Herz
noch kleinmütig wie eine untergehende Sonne!
Eine Betrachtung zu diesen Christus-Worten als Quelle des Friedens von Lydia Fechner finden Sie als Denklicht hier auf unserer Website.
Liebe Leserinnen und Leser,
gerade passieren schier unfassbare Dinge in der Welt, mit unabsehbaren Folgen für unser künftiges Leben – im Kleinen wie im Großen, im Zusammenleben der Völker, im Verhältnis von Ost und West. Ist es angesichts dieser Situation noch gerechtfertigt, sich mit Philosophen und deren Werken aus längst vergangenen Zeiten zu beschäftigen? Oder helfen gerade sie uns aus ihrem noch unmittelbareren Geistbewusstsein heraus, das Menschsein in der Gegenwart besser zu verstehen – als Grundlage für geistesgegenwärtiges Handeln?
Die Arbeit des PHILOSOPHISCHEN SEMINARS und der Weiterbildung LEBENDIGE PHILOSOPHIE ist immer zweifach ausgerichtet, in die Vergangenheit ebenso wie in die Zukunft. Nur durch die Pflege eines zeitenübergreifenden Bewusstseins vom Menschen und seiner Entwicklung ist ein wirklichkeitsgemäßes Urteil über das, was in der Gegenwart geschieht, möglich!
So berichten wir in diesem Newsletter über Seminare zu Philosophen der Spätantike und des frühen Christentums, über einen theologischen Arbeitskreis, aber auch über eine Neuerscheinung zur „Philosophie des Anthropozäns“, also unserer Gegenwart selbst. Auch das gleich zu Beginn anzukündigende Seminar beschäftigt sich mit dieser – mit dem Menschsein zwischen Maschine und Engel. Rückgreifend auf antike und mittelalterliche Beziehungen des Menschen zur Engelwelt wird nach der Zukunft des Menschen im Zeitalter transhumanistischer Ideale gefragt.
Wir wünschen eine anregende Lektüre! Wie immer freuen wir uns über ihre Anregungen, Fragen und Rückmeldungen!
Eine gute Osterzeit wünscht Ihnen
Ihr Team vom
Philosophischen Seminar und der Lebendigen Philosophie
der Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte
Mensch – Engel – Maschinen: Seminar 13./14. Mai 2022 in Stuttgart
Transhumanistische Ideale haben bereits das Ende des in einem Leib beheimateten Menschen ausgerufen. Von Unsterblichkeit träumend, versucht man, das Wesen des Menschen mit der Maschine zu verschmelzen. Einer solchen Bestimmung des Menschen als Maschinenwesen steht die antike und mittelalterliche Beziehung des Menschen zum Engel gegenüber, der als Ideal eine vergleichbar leitende Funktion eingenommen hatte. Im Spannungsfeld von Maschine und Engel fragen wir nach möglichen Zukünften des Menschen, in denen das Individuum weiter zu sich selbst werden und Mensch unter Menschen bleiben kann. Denn weder zur Maschine noch zum Engel geboren zu sein, ist das Los des Menschen, der zwischen Erde und Himmel eine eigene Welt erschafft und bewohnt. Dazu wird uns an diesem Wochenende die Auseinandersetzung mit Engellehre und Posthumanismus auf die Spuren und Eigenheiten des Menschseins führen. Methodisch lassen wir uns dabei von philosophischen Positionen aus verschiedenen Epochen und Bildern Paul Klees inspirieren.
Das Seminar findet im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Mensch Entwicklung Zukunft“ der MAHLE STIFTUNG statt und wird von Harald Schwaetzer, Lydia Fechner und Fabian Warislohner durchgeführt.
Ort: Rudolf-Steiner-Haus, Zur Uhlandshöhe 10, 70188 Stuttgart, Unkostenbeitrag inkl. Verpflegung: € 125,-. Anmeldung:
Frei von sich und von anderem: Mit PLOTIN auf der Suche nach dem wahren Selbst
Vom 14. bis zum 16. März 2022 hatte eine kleine Gruppe Studierender die Freude von Prof. Dr. Lavecchia (Universität Udine, Italien) in das Denken Plotins (205-270), der Zentralgestalt des spätantiken Neuplatonismus, eingeführt zu werden. Im Fokus stand Plotins Philosophie des Selbst, die anhand des titelgebenden Motivs „frei von sich und von anderem“ einsichtig gemacht wurde. Es gelang dabei im intensiven Ausloten zentraler Stellen Plotins Denken als eine Auslegung geistiger Erfahrung, in der die gesamte Wirklichkeit eigenständige Bedeutung gewinnt, zu begreifen. Damit erweist es sich auch für die Gegenwart von großer Bedeutung, gerade weil es ein Selbstverständnis als letztlich „von sich und von anderem freies“ Wesen ermöglicht, d. i. ein Selbstsein in wahrhaft schöpferisch freier Gemeinschaft mit allem. So können wir auf ein sowohl fachlich äußerst instruktives wie auch existenziell anregendes Seminar zurückblicken. Wir danken Herrn Lavecchia sehr herzlich für seine Lehrtätigkeit und hoffen, ihn bald wieder in Machern begrüßen zu dürfen!
Lukas Bauer
Über die geistige und prophetische Kraft der Träume – Seminar zum Traumbuch des SYNESIOS
Die Fortsetzung des Lektüreseminars zum Traumbuch des Synesisos von Kyrene (circa 370-413 n Ch.) ermöglichte ein Vertiefung spätantiker Kosmologie und Anthropologie.
Mit seinen Überlegungen zur Traum-Mantik ermutigte Synesios seine Zeitgenossen zu einer prognostischen Methode, die jedem Menschen zugänglich ist: Jeder muss sich täglich zum Schlaf niederlegen und träumt. Warum nicht aus dieser Not eine Chance machen? Wer den Traum nutzen gelernt hat, muss nicht nach Delphi pilgern, um das Orakel zu befragen sondern kann unabhängig von Ort, Zeit und Geld in nächtlichem Austausch mit den Göttern hilfreiche Hinweise für den kommenden Tag erhalten. Exakte Anweisungen zum Erreichen dieses Ziels kann Synesios nicht geben, da der Weg zur Traum-Mantik ganz von den Gegebenheiten individueller Konstitution abhängt. Jedoch schildert er im Hauptteil des Textes sehr genau, wie das Gefüge menschlicher Vermögen idealiter beschaffen sein muss, damit Traum-Mantik möglich sein kann. Ein ganz bestimmtes, gut abgestimmtes Verhältnis muss zwischen Geist, Fantasie, Lebenskraft und leiblichen Sinnen ausgebildet werden. Die Teilnehmenden des Seminars hatten allen Grund, sich von einer derartig differenzierten Perspektive auf das Wesen des Menschen als Glied des Kosmos beeindrucken zu lassen.
Fiona Henze
PELAGIUS als Vertreter eines spirituellen Christentums
Vom 27.2.-2.3.2022 fand im Rahmen der Studienwoche für Masterstudierende ein Seminar zur ‚Epistula ad Demetriadem‘, dem ‚Brief an Demetrias‘‚ von Pelagius (um 400) statt. Dieser ist ein aus Irland stammender gelehrter Mönch, der mit seinen Anschauungen über die gegebene gute Natur des Menschen und seine Möglichkeit, sich in Freiheit für das Gute wie für das Böse zu entscheiden, die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen herausstellt. Als Vertreter eines damals durchaus kraftvoll von Irland ausgehenden spirituellen Stroms des frühen Christentums wurde er zum Antagonisten von Augustinus und Hieronymus, als solcher schließlich von der Kirche exkommuniziert und in der Folge vergessen.
Der Brief richtet sich an eine junge Frau aus höchstem römischen Adelsgeschlecht, die sich zu einem jungfräulichen Leben im Dienste Christi entschlossen hat. Mit seinen Unterweisungen will er sie auf ihrem selbstgewählten spirituellen Entwicklungsweg unterstützen. Hier eine Textprobe nach der lateinisch-deutschen Ausgabe von Gisbert Greshake, in der sich der auf geradezu moderne Weise freie Geist des Pelagius ausspricht: „Wo wir Wollen und Nichtwollen erblicken, Erwählen und Zurückweisen, dort geht es – wie man einsieht – nicht um die zwingende Macht der Natur, sondern um die Freiheit des Willens. […] Wir verteidigen aber nicht derart das Gute in der Natur, dass wir sagen, sie könne nichts Böses tun. Natürlich sagen wir klar und deutlich auch, dass sie zum Guten und zum Bösen fähig ist. Wir nehmen sie nur vor der ungerechten Behauptung in Schutz, wir würden offenbar auf Grund ihrer Mangelhaftigkeit zum Bösen getrieben. Nein! Ohne unseren Willen tun wir weder Gutes noch Böses. Wir haben die Freiheit, immer das eine zu tun, wenngleich wir beides tun könnten“ (S. 82/83).
Nach einer Einführung von Harald Schwaetzer in die geistigen Auseinandersetzungen der kirchenpolitisch dramatischen Zeit um 400, die bis in die Gegenwart nachwirken, wurden einige zentrale Textstellen näher bearbeitet, wobei auch auf Übersetzungsprobleme eingegangen wurde.
Begleitend zur Arbeit am Text, diese auch vertiefend, wurden unter Anleitung von Lydia Fechner verschiedene Kreuz- und Kreuzigungsdarstellungen aus dem frühchristlichen, noch nicht von der römischen Kirche beeinflussten Irland betrachtet, in denen Motive aus der dortigen vorchristlich-keltischen Kultur nachklingen. Auffallend an diesen Darstellungen sind die kosmischen Bezüge (Sonnenkreuze) sowie der Reichtum an lebendig-bewegten und den Betrachter bewegenden Spiralformen. So wurde der bei Pelagius gedanklich aufzufindende, auf das Individuum gerichtete spirituelle Impuls auch sinnlich erfahrbar.
Stephan Stockmar
Aufrichtung der Schlange. Ein theologischer Arbeitskreis
Was passiert eigentlich, wenn man heute versucht in der Bibel zu lesen? Genauer: Im Neuen Testament, das uns Botschaft vom Christentum geben will. Haben uns diese Texte überhaupt noch etwas zu sagen? Und falls ja, was müssen wir tun, um es entgegenzunehmen? – Zum Auftakttreffen des Theologischen Arbeitskreises am 12. März kamen ein knappes Dutzend Menschen auf dem Lindengut in Dipperz zusammen, um gemeinsam diesen Fragen nachzugehen. Im Mittelpunkt stand das Gespräch zwischen Nikodemus und Jesus aus dem dritten Kapitel des Johannesevangeliums.
Erzählt wird darin von der umfassenden Neuerung für die Welt, die durch die christliche Inkarnation und Auferstehung erfolgt. Mit den gewandelten Anforderungen, die diese Neuerung für die Entwicklungsaufgabe des Menschen mit sich bringt, wird Nikodemus in dem Gespräch in der Art vertraut gemacht, dass er sie selbst vollziehen kann.
Ein zentrales Bild dieses Vollzugs ist die ›Aufrichtung der Schlange‹, das an ein Motiv aus dem 4. Buch Mose anknüpft. Dort lässt Mose eine eherne Schlange aufrichten, deren Anblick den Todesbiss der vom Herrn als Strafe geschickten Schlangen-Plage zu überwinden hilft. Zu Nikodemus heißt es vor diesem Hintergrund nun in der von Harald Schwaetzer angefertigten Übersetzung:
„Und wie Moses zur Höhe aufrichtete die Schlange in der Wüsteneinsamkeit,
so muss zur Höhe aufgerichtet werden der Sohn des Menschen,
damit jeder, der Vertrauen fasst auf ihn hin, ewiges Leben hat.“ (Joh 3, 14-15)
Es geht also um eine belebende Gebärde der Aufrichtung, die Aufgabe des Menschen ist. Die Evangelienstelle weist darauf hin und bietet mit der Erhöhung der Schlange ein Bild an, mit dem umzugehen eine Kraftquelle gegenüber den Todeskräften zu sein verspricht.
Da wir es jedoch gegenwärtig gewohnt sind, ein Bild entweder als ›bloßes Bild‹ jenseits der Realität vorzustellen, oder aber die Bildhaftigkeit ganz zu übersehen und es für (absurde) Schilderung von äußerer Realität zu halten, besteht die Herausforderung an uns heutige Leser des Neuen Testaments offenbar darin, einen Umgang mit den Bildern und Bildzusammenhängen zu finden, der gleichzeitig den Bild- und den Realitätscharakter freilegt. Angesichts dessen, dass die Texte noch dazu in altgriechischer Sprache verfasst sind und uns der kulturelle Kontext, in dem sie verfasst wurden, inzwischen sehr fremd ist, scheint dies keine ganz leichte Aufgabe.
Zugleich kann wohl das menschheitliche Problem der inneren ›Wüsteneinsamkeit‹, wie es in obiger Johannes-Stelle heißt, auch in unserer Gegenwart offenkundig nicht gerade als gelöst angesehen werden. Eine Erschließung der Bildrealität des Neuen Testaments verspricht insofern weit mehr zu sein als die bloße Rehabilitation eines historisch interessanten Textes. Zu versuchen, eine zeitgemäße Perspektive auf das Neue Testament auszuloten und das Zukunftspotenzial seiner Inhalte und Formen zu befragen, kann als das Anliegen des Theologischen Arbeitskreises formuliert werden, der sich in regelmäßigen Abständen auf dem Lindengut treffen wird.
Pilar Bücker
NEUERSCHEINUNG: Philosophie des Anthropozäns
„Natur in der Lyrik und Philosophie des Anthropozäns: Zwischen Diagnose, Widerstand und Therapie“ lautet der Titel des neuen Bandes in der Reihe „Texte und Studien zur europäischen Geistesgeschichte“ (Reihe B, Band 23). Herausgegeben von Kirstin Zeyer, Henrieke Stahl und Harald Schwaetzer versammelt er 30 Beiträge eines interdisziplinären Gesprächs über Natur – über den poetischem Umgang mit ihr und den philosophischen Diskurs über den Naturbegriff. Gerade die Gegenwartslyrik konzentriert sich unter Einbezug verschiedener Disziplinen auf Fragen der Sensibilisierung für Umwelt- und Klimafragen. In der neueren Lyrik gerät auch ‚Natur in Transition‘, indem Grenzüberschreitungen zwischen Mensch und Tier oder Pflanze, zwischen belebter und unbelebter Natur, zwischen Erde und Kosmos sowie zwischen Natur und Technik behandelt werden.
Das Thema „Natur in Transition“ ist eng verknüpft mit dem von Geologen für die Gegenwart geprägten Begriff ‚Anthropozän‘. Er impliziert, dass menschliche Produkte den Planeten in einer neuen Qualität durchdringen: Sind keine temporal und lokal begrenzten Gegenstände mehr, sondern per se transitorisch, genannt auch hyperobjects, wie der Klimawandel, radioaktive Materie oder allgegenwärtige Kunststoffpartikel. „Neueste Technik ist in der Lage, transhumane Formen von Intelligenz und transnatürlichem Leben zu schaffen. Diese Situation macht die neuzeitliche Grenzziehung zwischen Kultur und Natur zugleich obsolet und eine Revision des Verständnisses von Menschsein resp. Natur sowie ihrer Beziehung erforderlich“ (Claus Telge).
In dem Band werden Dichtungen u.a. von Marcel Beyer, G. Sebald, Aleksei Parshchikov, Edwin Morgan, Gennadij Ajgi und Durs Grünbein untersucht. Es geht um Reaktionen auf die Atomkatastrophe von Fukushima in der japanischen Lyrik ebenso wie um „die ‚andere‘ Art der Naturbetrachtung bei Nikolaus von Kues und ihre Bedeutung für die Naturphilosophie der Gegenwart“ (Kazuhiko Yamaki) oder „Geschichte als Manifestation von Wahrheit. Horizonte einer Naturphilosophie des Anthropozän“ (Harald Schwaetzer), wobei auch die Autorenschaft entsprechend international geprägt ist. Kirstin Zeyer steuert eine ausführliche Einleitung in das Thema bei, in der sie abschließend auch Chancen zur Heilung ausmacht – „als Therapie für das geschädigte Verhältnis von Natur und Mensch […], indem etwa Gedichte dazu anleiten können, das Bewusstsein zu dezentrieren und für die Natur zu öffnen. Lyrik kann sich als Übungsfeld für neue Naturwahrnehmung gestalten, deren historische Genese und aktuelle Bedeutung für die Entwicklung von Perspektiven, die aus den ökologischen Katastrophen des Anthropozäns hinausweisen, wiederum in der philosophischen Reflexion fassbar gemacht werden können. Das interdisziplinäre Gespräch zwischen Lyrik- und Philosophieforschenden, wie es der vorliegende Band dokumentiert, hat sich als produktiv für die Auseinandersetzung mit Problemfeldern des Anthropozäns erwiesen.“
Die Anfänge des Bandes führen auf die Konferenz „Natur in der Lyrik und Philosophie des Anthropozäns: zwischen Diagnose, Widerstand und Therapie“ zurück, die im März 2019 in Trier stattfand. Organisiert wurde sie von Henrieke Stahl in Verbindung mit Matthias Fechner von der DFG-Kolleg- Forschungsgruppe 2603 „Russischsprachige Lyrik in Transition – Poetische Formen des Umgangs mit Grenzen der Gattung, Sprache, Kultur und Gesellschaft zwischen Europa, Asien und Amerika“ an der Universität Trier in Kooperation mit Harald Schwaetzer (Philosophie) von der Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte in Bernkastel-Kues. – Stephan Stockmar
Kirstin Zeyer, Henrieke Stahl, Harald Schwaetzer (Hg.): Natur in der Lyrik und Philosophie des Anthropozäns: Zwischen Diagnose, Widerstand und Therapie. Texte und Studien zur europäischen Geistesgeschichte Reihe B, Band 23, Münster 2022, 617 Seiten, 69 EUR (Ebook 48 EUR) – Bestellmöglichkeit hier.