Durch die Ohnmacht hindurch

von | 22. Mai 2023 | Denklichter


Paul Klee, frägt sich, 1934

Wenn wir etwas in der Welt wahrnehmen, versuchen wir es, denkend zu verstehen, um nicht im bloßen Erleben stecken zu bleiben. Doch angesichts der Komplexität des Weltgeschehens scheitern wir – scheitere ich – immer öfters. Ich weiß nicht einmal mehr, auf welche Nachricht ich mich verlassen kann, auch, weil Information und Meinung kaum noch auseinanderzuhalten sind – egal, aus welcher Richtung sie kommen. Ich verstehe nicht, warum nicht effektiv gegen den Klimawandel vorgegangen wird oder warum niemand ernsthaft an Frieden in der Welt interessiert zu sein scheint.

So erlebe ich mich immer wieder ohnmächtig und wie gelähmt. Das damit verbundene Gefühl der Leere ist nicht immer leicht auszuhalten, und so fülle ich es mit meinen eigenen Meinungen und Emotionen, sympathischen wie antipathischen, wobei letztere oft überwiegen: Ärger und Zorn über Andere und Anderes. Und natürlich „weiß“ ich genau, wie man es eigentlich machen müsste…

Das ist oft anstrengend, und so wende ich mich immer wieder von der Welt ab, versuche gleichgültig zu sein, lenke mich ab bzw. lasse mich ablenken. Angebote dazu finde ich genug in der herrschenden medialen Eventkultur. So versuche ich mich – auch – durch Abstumpfung zu retten.

Was passiert aber, wenn ich mich auf die Ohnmacht, in die ich mich geworfen fühle, einlasse? Zunächst reflexiv: Mir wird mehr und mehr bewusst, wie und wo ich Teil des „Systems“ bin, demgegenüber ich mich ohnmächtig fühle – auch durch mein eigenes (Nicht-)Handeln und meine Art zu reagieren. Dann macht mir ein Schuldbewusstsein zu schaffen.

Aber manchmal gelingt es mir, von daher auch anders auf manche Agierende zu schauen, auf die (vermeintlichen?) Sachzwänge und die (tatsächlichen?) Gruppenzwänge, in die sie sich verwickeln und verstricken. Und auf einmal kommt so etwas wie die Empfindung von Mitgefühl auf. Von mir ausgehend, so auf Andere zugehend, wird mir eine Art Ideal des Menschseins bewusst und damit auch die Diskrepanz zwischen diesem und den real existierenden Verhältnissen (ich scheue mich, diese als Wirklichkeit zu bezeichnen). Es entsteht so etwas wie ein innerer Maßstab, an dem ich nicht nur Andere, sondern auch mich selbst messe.

Dieser Maßstab bleibt nicht abstrakt. Es geht nicht mehr nur darum, Urteile zu fällen – sondern zu bilden, im Hin und Her zwischen mir und der Welt. Ich denke nicht mehr nur etwas nach, sondern bringe produktiv etwas Neues hervor – wenn auch zunächst noch ganz zart: Ich bin es, der Gedanken und Urteile bildet. Das lässt mich ein Stück aus der Lähmung erwachen. D.h. nicht, dass ich gleich Aktivist werde, was ja auch wieder in die Verausgabung führen kann. Meine Aktivität spielt sich erst einmal ganz in meinem Innern ab – und wendet sich dann vielleicht auch etwas zu, was gar nicht mit einem äußeren „Zweck“ verbunden ist.

Je mehr ich den Zwischenzustand zwischen Nach-Denken und Zukunft prägendem Handeln aus-halten kann, desto mehr verwandelt sich die Ohnmacht in eine Offenheit nicht nur der äußeren Welt gegenüber. Ich verbinde mich mit etwas, was mir in mir selbst, in meinem Innern entgegenkommt – als Bild nicht nur meines eigenen Menschseins. Dieses Bild füllt sich, lässt mich nicht nur auf Defizite, sondern – und vor allem – auf Möglichkeiten aufmerksam werden. Und da beginnt eine ganz neue Arbeit: Fähigkeiten aktiv zu entwickeln. Aber eben nicht im Sinne einer Selbstverwirklichung, sondern immer mit der Frage im Hintergrund: Welche Bedingungen braucht es, dass jeder Mensch seine besonderen Fähigkeiten entwickeln kann, und wie kann ich mit den meinen dazu beitragen? Nichts anderes meint Joseph Beuys mit seinem viel zitierten Spruch „Jeder Mensch ist ein Künstler!“

In den Momenten, wo mir dieses ein wenig gelingt, ändert sich mein Verhältnis zur Welt und den sie mit-bildenden Menschen. Ich bin dann nicht mehr nur der sich abschirmende Kritiker, sondern fühle mich mit ihr jenseits von Gut und Böse verbunden. Man kann es Liebe nennen.