Transformationsanspruch in Forschung und Bildung

von | 08. Mai 2023 | Publikationen

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Gerade ist ein Sammelband erschienen, der eine umfassende Inventur transformativen Forschens und Lehrens versucht. – „Der Begriff ‚transformative Forschung‘ drückt, verkürzt gesagt, den Wunsch innerhalb und außerhalb der Wissenschaft aus, ernst zu nehmen, dass Forschung und Lehre der Gesellschaft verpflichtet sind. Da transformative Forschung und Lehre immer als transdisziplinär konzipiert werden, drückt der Begriff gleichzeitig die allseitige Bereitschaft aus, sich auf das ebenso inspirierende wie anstrengende Unterfangen der Zusammenarbeit einzulassen, und zwar einer Zusammenarbeit, die als integrativ und nicht als bloßes nachbarschaftliches Nebeneinander verstanden wird – sowohl über die disziplinären Grenzen innerhalb der Wissenschaft hinweg als auch über die Grenzen der akademischen Wissenschaft hinaus mit Akteuren aus anderen gesellschaftlichen Feldern und aus der Praxis.“ (Aus dem Geleitwort von Rico Defila und Antonietta Di Giulio, Forschungsgruppe Inter-/Transdisziplinarität, Universität Basel)

Der von Jennifer Blank, Sonja Sälzle (beide Hochschule Biberach) und Claudia Bergmüller (PH Weingarten) herausgegebene Band enthält Beiträge über „Theoretische und empirische Perspektiven“ sowie „Praxisbeispiele transformativer Forschung“.

In der erstgenannten Rubrik findet sich ein Beitrag von Harald Schwaetzer über „Transformation als Erkenntnisvertiefungsübung des ‚Ich‘. Philosophisch-systematische Überlegungen aus begriffsgeschichtlicher Perspektive“. In diesem hinterfragt er Begrifflichkeiten, wie sie häufig in der Tranformationsforschung, z.B. von Schneidewind, verwendet werden: geistiger Wandel, gesellschaftlicher Wandel, Steuerung menschlichen Verhaltens. Er zeigt, wie 1. sich der Begriff des Geistes in der zeitgenössischen Diskussion auf einen bewusstseinsimmanenten, subjektiven Gebrauch verengt hat.; 2. wie der Begriff der Gesellschaft äquivok ist, insofern er, unbeschadet der Frage nach Gesellschaft oder Gemeinschaft im Sinne von Tönnies, systematisch klären muss, ob das Individuum für Transformation, aber auch für Gesellschaft konstitutiv ist ;. 3. wie die Annahme einer politischen und expertokratischen Außensteuerung des Prozesses den Ich-Begriff aus blendet. Dagegen stehe: Nur das Ich ist Experte seiner selbst. Nur es selbst kann sich transformieren. Ein Zugriff von außen ist unmöglich, ihn zu versuchen hieße, manipulativ oder propagandistisch tätig zu werden, und die Möglichkeit des Individuums in diesem Sinne von außen zu beschränken oder aufheben zu wollen, verstößt gegen die Idee der Menschenwürde.

Weitere Beitragende sind: Thomas Aigle, Karoline Augenstein, Monika Bachinger, Boris Bachmann, Esther Baur, Claudia Bergmüller, Jennifer Blank, André Bleicher, Thomas Bruhn, Lukas Bruns, Benedikt Fecher, Heike Frühwirth, Thomas Fuhr, Martin Führ, Frauke Godat, Verena Hermelingmeier, Alexandra Kessler, Silke Kleihauer, Michael Kühl, Mark G. Lawrence, Isabell Osann, Alexandra Palzkill, Jonas Rehn-Groenendijk, Ortwin Renn, Regina Rhodius, Sonja Sälzle, Julian Schenten, Sebastian Schuster, Marianne von Schwerin, Mandy Singer-Brodowski, Peter Štarchoň, Franziska Stelzer.

Jennifer Blank, Claudia Bergmüller, Sonja Sälzle (Hrsg.): Transformationsanspruch in Forschung und Bildung. Konzepte, Projekte, empirische Perspektiven. Waxmann-Verlag Münster 2023, 314 Seiten, broschiert, 39,90 €. Der Band steht auch als freier Download zur Verfügung.

Die „große Transformation“ unserer Gesellschaft bedarf geeigneter Lösungskonzepte. Transformative Forschung setzt hier an, nimmt gesellschaftliche Probleme konkret in den Blick und will mit einer bewusst normativ ausgerichteten Intervention entsprechende Veränderungen aktiv mitbefördern. Doch wie manifestiert sich dieser Transformationsanspruch in Projekten an der Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis aktuell? Die Autorinnen und Autoren in diesem Sammelband führen aus verschiedenen Perspektiven und Disziplinen heraus in einschlägige theoretische Referenzdiskurse ein, stellen bisher vorliegende empirische Erkenntnisse zum Transformationspotenzial transformativer Forschung vor und geben einen Einblick in Wirkungserfahrungen ausgewählter Projekte.