„Immer mehr Erscheinungen lassen die weltweiten Verflechtungen und Wechselwirkungen gesellschaftlicher und politischer Geschehnisse, wirtschaftlicher und natürlicher Prozesse spürbar werden. Das macht eine Neubewertung des Bezugsrahmens, in dem das menschliche Handeln sich versteht, notwendig. Damit rückt die Frage in den Blick, inwiefern der Einzelne über seine lokalen, regionalen oder nationalen Bezüge hinaus auch durch einen globalen Bezug, eine weltumspannende Verantwortung bestimmt ist und sein sollte.“ So Wolfgang Christian Schneider, zusammen mit Kirstin Zeyer Herausgeber dieser Coincidentia-Ausgabe zum ‚Kosmopolitismus‘, in seinem Vorwort. Was in diesem Band geschieht, hat schon vom Rahmen her einen kosmopolitischen Charakter: Es vereinigt Beiträge aus „verschwisterten“ Veranstaltungen in Deutschland (Hochschule Biberach) und in Japan (Japanischen Gesellschaft für Germanistik), deren beider Blick sich auf den entstehenden Kosmopolitismus in der deutschen Literatur und Philosophie richtet.
Ausgangspunkt ist das schwäbische Städtchen Biberach, in dem Christoph Martin Wieland geboren wurde, der als Vorkämpfer des Gedankens der Kosmopolitie in der Aufklärungszeit gelten kann. Schneider zeigt, wie Wieland vor dem Hintergrund der antiken Anschauung eines der Gesamtheit des Lebens verpflichteten Bezugs zum Kosmos seine Auffassung eines ethisch begründeten Kosmopolitismus entwickelt. Daran schließt Tilman Borsche an, der herausarbeitet, wie Rousseau und Herder den Gedanken des Kosmopolitismus in die menschliche und staatspolitische Bildung hineintragen. Ri Suga schließlich bringt den philosophischen wie politischen Gehalt von Wielands Dichtung in einem inneren Zusammenhang mit dem kosmopolitischen Denken Kants. Dem Kosmopolitismus Goethes widmet sich Harald Schwaetzer. Er richtet den Blick auf den das Verstehen herausfordernden Kosmos, in dem jedes Handeln steht, der es trägt und zugleich verpflichtet.
Eine vertiefte Erfassung des Politischen im Kosmopolitischen weist Yu Takahashi an Hand der Auseinandersetzungen der Frühromantiker mit Kant auf. Das Poetisch-Ästhetische gilt diesen als unmittelbar politisch und verbindet sich daher mit dem Staatsbürgerlichen. Vielleicht sei sogar die Wende zum religiösen bei mehreren der Frühromantiker nicht so sehr als das Ende des Kosmopolitischen zu verstehen, sondern als dessen Verschiebung in das Geistige. Takahiro Nishio schaut auf das ‚Junge Deutschland‘ im 19. Jahrhundert, auf die Frage einer im Sinne von „Einheit in der Vielheit“ kosmopolitisch aufgefassten Weltliteratur.
Daran knüpft Yotetsu Tonaki an, der für die Judenheit in Europa um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine kosmopolitische Phase beschreibt, in der die geistig und literarisch Tätigen sich fruchtbar zwischen den nationalen Kulturen und Literaturen, also gleichsam kosmopolitisch, bewegen konnten, gerade weil sie keinen nationalen Bezug hatten. Das beendeten die antisemitischen Aktionen, was Hannah Arendt dazu führt, für die Judenheit einen Ort zu suchen, eine jüdische Identität zu entwickeln, die jenseits des Religiös-Nationalen steht und Kosmopolitisches wahrte. – Auch dieser Band schließt mit gehaltvollen Buchbesprechungen. Der Band kann hier bezogen werden.
Wolfgang Christian Schneider verabschiedet sich so auf kosmopolitische Weise aus seiner langjährigen geschäftsführenden Herausgeberschaft dieser Reihe. Ab dem kommenden Band übernehmen Kirstin Zeyer, Johanna Hueck und Harald Schwaetzer gemeinsam die Geschäftsführung, wobei ihnen Schneider beratend zur Seite stehen wird. Die gemeinsam von der „Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte“ und dem PHILOSOPHISCHEM SEMINAR getragene Zeitschrift wird so in der bewährten Form fortgeführt.