Newsletter Juli 2023

von | 13. Juli 2023 | Newsletter

Abbildung: Paul Klee, Figur am Abend

Paul Klee, Figur am Abend, 1935 (Detail)

Liebe Leserin, lieber Leser,

jetzt im heißen Sommer fällt das Denken ja vielleicht schwer, und viele von uns freuen sich auf (ent-)spannende Natur- oder Kulturerlebnisse. Doch ist ein wahres Leben ohne erkennende Tätigkeit denkbar? Lydia Fechner sucht mit ihrer Denklicht-Reihe „Das Denken denken“ eine solche anzuregen, die sich nicht vom Leben separiert, sondern als nährend erlebt werden kann. „Diesen nährenden Logos gemeinsam zu pflegen, ist der Sinn des PHILOSOPHISCHEN SEMINARS“, heißt es in ihrem aktuellen Beitrag, den Sie in diesem Newsletter lesen können.

Im Herbst beginnt ein neues Grundjahr unserer Weiterbildung LEBENDIGE PHILOSOPHIE. In Online- und Live-Veranstaltungen erfahren Sie dazu mehr. Zudem finden Sie auf der Webseite der Weiterbildung kurze Video-Statements sowohl von Dozentinnen und Dozenten wie von Teilnehmenden. – Auch das Begleitstudium DENKWÜRDIG beginnt mit einem neuen Jahrgang und lockt mit einer Summer School. Bitte weisen Sie Interessierte auf diese Angebote hin! Neuerdings ist das PHILOSOPHISCHE SEMINAR übrigens auch auf LinkedIn aktiv!

Darüber hinaus enthält dieser Newsletter weitere interessante Ankündigungen aus Forschung und Lehre. Am Ende steht die Bitte, uns beim Erwerb eines wertvollen Bücherbestandes zu helfen.

Es grüßt Sie herzlich
Stephan Stockmar
im Namen der Mitarbeitenden des PHILOSOPHISCHEN SEMINARS


Veranstaltungen

  • Begleitstudium DENKWÜRDIG: Online-Info-Abend, 19. Juli
  • Weiterbildung LEBENDIGE PHILOSOPHIE: Online-Info-Abend, 20. Juli: „Was heißt es, lebendig zu denken?“
  • 5. Internationaler Cusanus-Kongress von Lateinamerika, 8.–11. August in Buenos Aires
  • Weiterbildung LEBENDIGE PHILOSOPHIE: Live-Schnupperabend, 14. September in Freiberg am Neckar: „Bringen Sie Ihr Denken in Bewegung!“
  • Weiterbildung LEBENDIGE PHILOSOPHIE: Workshop, 15./16. September in Freiberg am Neckar: „Die Aktualität des Johannes-Evangeliums“
  • Begleitstudium DENKWÜRDIG: Summer School für Studierende und Auszubildende, 21.–24. September 2023 in Freiberg am Neckar: „Kreativität und Politik: Zukunft zwischen Utopie und Dystopie“
  • Heinrich Barth-Tagung, 27.–29. Oktober in Freiberg am Neckar: „Die Zeitphilosophie Heinrich Barths und ihre geschichtlichen Quellen“


Denklicht: Das Denken denken IV: Leben

„Alles Erkennen (intellectus) erstrebt Sein.
Sein Sein ist sein Leben, sein Leben ist Erkennen.
Sein Erkennen ist weidend genährt zu werden mit Weisheit und Wahrheit.“

Nikolaus von Kues: Über die Weisheit, Buch I, n.13 (aus dem Lateinischen von Harald Schwaetzer)

Denken und Erkennen gelten gemeinhin als abstrakte, theoretische und damit praxisferne Gebiete. Von einem bestimmten Gesichtspunkt aus stimmt das natürlich. Denken erscheint vielen als das Gegenteil des prallen Lebens; es spielt scheinbar keine Rolle da, wo aktive Menschen zupackend gestalten, das Leben genießen und intensiv erleben wollen. Gerade das Erleben-Wollen spielt eine wesentliche Rolle in der heutigen Zeit. Erlebnisurlaub, Erlebniseinkauf, Erlebnis Technik und nicht zuletzt das Erfolgserlebnis. Denn ebenso wie das Erlebnis, zählt das Ergebnis: von dem gebratenen Stück Fleisch auf dem Teller bis zum vorzeigbaren Start-up: Viele, sich selbst als praktisch verstehende Menschen überzeugt nur das, was zwischen den Zähnen genussvollen Widerstand bietet, die Investition gelohnt hat, den Status erhöht. So begegnet uns – hier sehr vereinfacht dargestellt – das praktische Leben. Man kann es anfassen, essen, messen und zählen: das gute Leben, die wahre Wirklichkeit!

Wer sich dem Erkennen – Nikolaus von Kues sagt „intellegere“ – widmet, fristet heute oftmals eine wenig beneidenswerte Existenz. Er muss sich vor den Praktikern rechtfertigen, und zumeist erliegt er den gesellschaftlichen Erwartungen.
Wenn wir jetzt das kurze Zitat des Denkers auf uns wirken lassen, dann wird uns hier zunächst versprochen, dass im denkenden Erkennen das Sein liegt. Die wahre Wirklichkeit, der Ort, wo das Lebendige seinen Ursprung hat, läge hier also eben gerade nicht in der äußeren, bereits gegebenen, sinnlichen Welt, sondern in der reinen Erkenntnistätigkeit. In einem nächste Schritt bringt Nikolaus dieses Sein zusammen mit dem Leben, das aber wiederum ein Erkennen ist. Und in einem letzten, dritten Schritt folgt die Aussage, dass dieses Erkennen uns mit Weisheit und Wahrheit „weidend nährt“. Nikolaus von Kues findet somit die Kraft zum Leben dort, wo viele von uns es am wenigsten vermuten. Was könnten nun die Konsequenzen sein?

Trotz all der Erlebnismöglichkeiten und Zweckorientierung umgibt uns eine Welt des Lebenskraftverlustes. Bei den meisten Menschen ist das Limit dessen, was noch verkraftbar ist an Eindrücken, Spannungen, Krankheiten und Druck längst erreicht oder überschritten. Wo finden wir noch die Kraft, die in die Zukunft weist, wenn wir durch das altbewährte Muster jeden Tag gespiegelt bekommen, dass es in eine Sackgasse führt und die Natur (eigentlich der Inbegriff des sich selbst regenerierenden Lebens) mit in den Abgrund reißt?

Meiner Ansicht nach ist deswegen der Hinweis auf eine (Re)Aktivierung des Intellektes, den uns Nikolaus von Kues vor 600 Jahren geben wollte, heute ein vergessener, noch immer gangbarer, vielleicht der einzige Weg, der in eine Zukunft eines menschenwürdigen Lebens führt. Das „Weidend-Nährende“ des Denkens kann nur erfahren werden, wenn ich dieses Denken und sein Erkennen übend schule, es wird mir nicht einfach gegeben wie ein Erlebnisurlaub. Im Betätigen des erkennenden Intellekts, im Philosophieren, ergreift der Mensch sich in seinem Verhältnis zu sich selbst, also zu seiner eigenen Geschichte und damit zu dem Wesenhaften, das den Zusammenhang des Ganzen erst geschaffen hat. Er ist das Nadelöhr der Selbstentwicklung. Das Erlebnis des schaffenden Logos, der nur im und durch den einzelnen Menschen sich verwirklichen kann, ist geistiges Leben, in dem in Ruhe und Festigkeit Ideen entstehen können, die unsere veräußerlichte Welt heute dringend braucht.
Diesen nährenden Logos gemeinsam zu pflegen, ist der Sinn des Philosophischen Seminars. Wer die Anstrengung nicht scheut, kann darin etwas finden, was nur auf den ersten Blick aus der Zeit gefallen zu sein scheint, aber in Wirklichkeit so zukünftig ist, dass es nur bemerkt wird, wenn die Theorie zur Praxis wird.

Lydia Fechner

Weitere Denklichter können Sie auf unserem Blog lesen. Dort finden Sie auch die vorangegangenen Teile der Serie:
Das Denken denken III: Wahrheit
Das Denken denken II: Licht
Das Denken denken I: Bewegung


Header: Weiterbildung LEBENDIGE PHILOSOPHIE

Aktuelle Infos zur Weiterbildung LEBENDIGE PHILOSOPHIE

Was heißt es, lebendig zu denken?
Online-Info-Abend am 20.7., 19–20 Uhr
Mit Paula Kühne Rendtorff und Andrei Birtolonu
Sie interessieren sich für die Weiterbildung „LEBENDIGE PHILOSOPHIE – Wahrnehmen, Orientieren, Entscheiden“ und möchten gerne mehr darüber erfahren?
Wir laden Sie herzlich zu einem Online-Kennenlernabend ein, bei dem wir das Programm und unsere Methoden vorstellen. Ein Teilnehmer aus unserem ersten Jahrgang, Andrei Birtolonu, wird als Gast von seinen Erfahrungen berichten. Die Teilnahme ist kostenfrei.
Anmeldung:

Bringen Sie Ihr Denken in Bewegung!
Kostenloser Schnupperabend am 14.9., 17–20 Uhr in Freiberg am Neckar
Erleben Sie praktische Übungen und erfahren Sie mehr über die Inhalte der berufsbegleitenden Weiterbildung „Lebendige Philosophie“ des Philosophischen Seminars – direkt von den Dozenten Dr. Lydia Fechner und Dr. Harald Schwaetzer.
Die Plätze sind begrenzt – Anmeldung:

Workshop: Die Aktualität des Johannes-Evangeliums, 15./16. September in Freiberg am Neckar

Videos mit Dozent:innen und Teilnehmenden sowie weitere Infos zur Weiterbildung LEBENDIGE PHILOSOPHIE finden Sie auf unserer Webseite!


Header: Begleitstudium DENKWUERDIG

Begleitstudium DENKWÜRDIG: Summer School und neuer Jahreskurs

Das Thema der Summer School vom 21.–24. September ist „Kreativität und Politik. Zukunft zwischen Utopie und Dystopie“: Gibt es eine dritte Möglichkeit, über Zukunft nachzudenken, die die Gegenwart unter Berücksichtigung ihrer Vergangenheit in den Blick nimmt? Einen Blick, der um ein ebenso phantasievolles wie wirklichkeitsgemäßes Denken und Handeln ringt, ohne in eine optimistische oder pessimistische Übertreibung zu geraten? Dazu wird es philosophische Textarbeiten sowie einen Workshop in Schauspiel und Performance geben. Eingeladen sind Studierende und Auszubildende aller Fächer zum gemeinsamen Erkunden dieses Feldes von „Kreativität“ und „Politik“.

Der neue Jahreskurs 2023/24 beginnt mit einem Wochenende über „Grundprobleme der Gegenwart: Philosophieren im Anthropozän“ (3.–5. November), wobei Hannah Arendt und Günther Anders im Fokus stehen werden. Gleichzeitig bieten wir wegen der großen Resonanz auch einen Vertiefungskurs für Teilnehmende des Jahreskurses 2022/23 an. Weitere Informationen zu den insgesamt fünf Denk-Wochenenden finden Sie hier.


Abbildung: Screenshot LinkedIn

Das Philosophische Seminar bei LinkedIn

Seit Kurzem ist das PHILOSOPHISCHE SEMINAR mit einer eigenen Seite auf dem Berufs-Netzwerk-Portal LinkedIn präsent. Dort stellen wir regelmäßig Infos zu Seminaren und Veranstaltungen ein und berichten von Seminarerfahrungen und Interviews mit den Teilnehmenden unserer Weiterbildung.

Zudem laden wir immer wieder zur Lektüre unserer kurzen Denk-Meditationen – der „Denklichter“ – ein, die von verschiedenen Mitarbeitenden des PHILOSOPHISCHEN SEMINARS verfasst werden und auf unserem Blog erscheinen.

Folgen Sie uns auf LinkedIn und bleiben Sie auf dem Laufenden über das PHILOSOPHISCHE SEMINAR!


Aktuelle Angebote in unserer Mediathek


Header: Neue Publikationen

Neue Publikationen

  • Aktive Passivität. Krisis und Selbsttransformation der Subjektivität im Denken“ – Dissertation von Johanna Hueck
  • Spuren im Dazwischen“. Coincidentia, Band 13, Heft 21 (2022, erschienen im Mai 2023)


Herausgeberwechsel in der Coincidentia

Seit ihrer Gründung im Jahre 2010 wird die „Coincidentia. Zeitschrift für europäische Geistesgeschichte“ geschäftsführend von Wolfgang Christian Schneider herausgegeben. In den letzten Jahren hat Kirstin Zeyer, die von Anfang die Redaktion der Zeitschrift innehat, als Herausgeberin der mit zwei Heften im Jahr erscheinenden Zeitschrift mitgewirkt. Mit dem Heft 14/2 (2023) vollzieht sich eine Übergabe. Kirstin Zeyer, Johanna Hueck und Harald Schwaetzer werden die Geschäftsführung übernehmen, Wolfgang Christian Schneider wird ihnen beratend zur Seite stehen. Die gemeinsam von der „Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte“ und dem PHILOSOPHISCHEM SEMINAR getragene Zeitschrift wird so in der bewährten Form fortgeführt.


Abbildung: Erstausgaben Teichmann

Crowdfunding Erstausgaben-Bibliothek Teichmann

Die ausgesuchte, hochwertige Bibliothek des Ägyptologen und Kulturwissenschaftlers Frank Teichmann (1937–2006) wurde großzügiger Weise von Brigitte Teichmann an das Philosophische Seminar gegeben. Einen letzten Bestand mit besonders wertvollen Büchern (vor allem Erstausgaben aus der Zeit des Deutschen Idealismus) möchten wir jetzt von ihr erwerben und dadurch die Bücher in Zukunft für interessierte Menschen zugänglich machen. Dafür bitten wir um Ihre Hilfe und freuen uns über Spenden in jeglicher Höhe. 44 Prozent der aufzubringenden 5.000 € sind bereits eingegangen.

Ihre Spende können Sie bequem über unsere Webseite tätigen.