Auf der Mitteltafel des Columba-Altars von Rogier van der Weyden sind die drei königlichen Philosophen aus dem Morgenland zu sehen, die den Aufgang des Sterns erkannt haben. Wie vom hohen Ross herabgestiegen und barhäuptig bringen sie ihre Weisheitsgaben dem nackten und bloßen Menschlein auf dem Schoß Mariens dar. Aus einem gemeinsamen, von rechts nach links auf das Kind zu gerichteten Bewegungsstrom heraus gehen sie in die Knie: Während der Jüngste aufrecht stehend noch seinen Hut stolz schwenkt, hält der mittlere König, die Knie beugend, den seinen bereits demütig vor der Brust. Der älteste, nun vollständig kniend, hat ihn auf dem Boden abgelegt; auf Augenhöhe mit dem Kind hält er dessen Füßlein und küsst sein Händchen. So bilden die drei Weisen bei aller Verschiedenheit in Gestus und Gewandung eine Art Dreieinigkeit, die aus der Zeit kommend der Ewigkeit, wie sie die Madonna zu verkörpern scheint, begegnet – vermittelt durch das Kind.
Ihnen gegenüber steht Joseph, bereit, die kostbaren Gaben entgegenzunehmen, während hinter ihm eine Treppe in einen finstren Keller führt. Die Szene wird vervollständigt durch Ochs und Esel, deren große Köpfe mehr oder weniger verwundert zwischen Maria und Joseph hervorschauen.
Der in eine antike Ruine hineingebaute Stall, dessen Dach auch schon brüchig geworden ist und den Himmel durchscheinen lässt, wirkt wie eine Kulisse, die verschiedene Zeiten integriert. Am Mittelpfeiler ist ein kleines Kruzifix zu sehen, das auf das künftige Schicksal des Kindes weist. Durch die großen Bogenfenster sieht man in die sonnenüberflutete prosaische Welt der Gegenwart des Malers; durch das kleine Bogenfenster über dem Kopf des mittleren Königs kann man den Zug der Könige gen Betlehem erkennen. Auf der rechten Seite drängen erstaunt-erschrockene Menschen durch ein Tor ins Vordergrund-Bild. Und über dem Stall, von diesem halb verdeckt, strahlt im nächtlichen Blau der Stern.
Ganz am linken Rand der Tafel, dicht hinter dem Joseph, doch von ihm durch den Abgrund getrennt, betet still ein Stifter, der die ganze Szene als eine innere Vision gegenwärtig zu erleben scheint. Man könnte meinen, dass auch wir als Betrachter so das Geschehen erleben sollten, dabei in den verschiedenen Gestalten, die sich um den Menschensohn als ein werdendes Wesen scharen, uns selbst erkundend in unserem Sein und Werden. In den drei Königen zeigt uns das Bild verschiedene Lebensalter und Haltungen, die durch Kopf, Herz und Hand auf die dem Menschen innewohnenden Seelenkräfte Denken, Fühlen und Wollen verweisen, wobei auch eine gegenläufige Leserichtung denkbar wird: Der mit seinen Händen das Kind berührende alte König zeigt zugleich die größte Innigkeit im Denkerleben, während der erhobenen Hauptes stehende und mit einem Schwert umgürtete jüngste König, zu dessen Füßen ein Hund wacht, in seiner ganzen Haltung tätig der äußeren Welt verbunden wirkt.
So durchdringen sich verschiedene Zeiten, Räume und Kräfte in einem zunächst ganz realistisch erscheinenden Bild, das in der Mitte des 15. Jahrhunderts, also noch zu Lebzeiten des Cusanus, entstanden ist und heute in der Alten Pinakothek in München hängt. In dieser Vielfalt kann ich mich selbst wiederfinden, fragend: Wie stehe ich zu dem werdenden Wesen in mir? Zu welcher Haltung fühle ich mich besonders hingezogen? Wo erlebe ich meine Defizite? In welche Richtung möchte ich mich entwickeln? – Wenn das kein würdiger und immer wieder sich erneuender Gegenstand der Philosophie ist!